
Ärztliche Aufklärungspflicht: So erkennen Sie Verstöße
Worum geht es bei der Aufklärungspflicht eigentlich?
Stellen Sie sich vor, Sie stehen kurz vor einer medizinischen Behandlung. Vielleicht eine OP, vielleicht „nur“ ein neues Medikament. In dem Moment wollen Sie wissen: Was passiert da mit mir? Und genau da kommt die ärztliche Aufklärungspflicht ins Spiel.
Ärztinnen und Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, Sie vor einer Behandlung umfassend zu informieren. Es geht dabei nicht nur um Risiken, sondern auch um Alternativen, Nebenwirkungen und Erfolgsaussichten. Klingt nach viel? Ist es auch. Aber: Nur wenn Sie die Informationen wirklich verstanden haben, können Sie bewusst zustimmen – also eine ausdrückliche Einwilligung erteilen.
Welche Arten der Aufklärung gibt es überhaupt?
Man unterscheidet zum Beispiel zwischen Risiko-, Diagnose-, Behandlungs- und Verlaufsaufklärung. Alles zusammen soll Ihnen helfen, eine fundierte Entscheidung zu treffen.
Was steht im Gesetz? Ein Blick auf § 630e BGB und Co.
Die rechtliche Grundlage finden Sie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) – und zwar in § 630e BGB. Dieser Paragraf regelt, was im Aufklärungsgespräch alles zur Sprache kommen muss. Ergänzt wird das Ganze durch § 630d BGB, der die Einwilligung betrifft, und § 630f BGB zur Dokumentationspflicht.
Fehlt diese Aufklärung oder läuft sie schief, ist das juristisch heikel. Denn ohne Einwilligung – und die setzt die Aufklärung voraus – ist jede Behandlung erstmal rechtswidrig. Selbst wenn medizinisch alles richtig gemacht wurde.
Wann genau ist die Aufklärungspflicht verletzt?
Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Ab wann gilt die Aufklärung als „nicht ausreichend“?
Ein paar typische Situationen:
- Das Gespräch findet erst kurz vor dem Eingriff statt, im Stress oder auf dem Flur.
- Sie bekommen nur einen Zettel zum Unterschreiben, ohne echtes Gespräch.
- Risiken werden kleingeredet oder ganz weggelassen.
- Es wird nicht über Alternativen gesprochen.
Kurz gesagt: Wenn Sie sich nach dem Gespräch nicht wirklich sicher sind, worauf Sie sich da einlassen – dann war die Aufklärung wahrscheinlich ungenügend.
Aufklärungsgespräch vor einer OP: Pflicht oder Kür?
Ganz klar: Pflicht. Vor jedem operativen Eingriff muss ein persönliches Aufklärungsgespräch stattfinden. Und zwar rechtzeitig – nicht erst, wenn Sie schon im OP-Hemd auf der Trage liegen.
Das Gespräch muss individuell sein. Standardbögen oder Videos können hilfreich sein, ersetzen das persönliche Gespräch aber nicht. Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, Ihre Fragen ernst zu nehmen – auch wenn’s mal länger dauert.
Was gilt bei wiederholten oder gleichartigen Eingriffen?
Wenn sich an den Risiken oder Umständen nichts ändert, muss nicht jedes Mal neu aufgeklärt werden. Trotzdem: Fragen dürfen Sie immer.
Medikamente und Aufklärung – da steckt der Teufel im Detail
Auch bei Medikamenten gilt: Der Arzt oder die Ärztin muss aufklären. Und zwar nicht nur über den Namen des Medikaments.
Wichtig sind:
- Wirkungsweise der Medizin
- Was das Medikament auslösen kann (Nebenwirkungen)
- Welche Wechselwirkungen möglich sind
- Ob es Alternativen zu der Arznei gibt
Ein Beispiel aus dem echten Leben: Eine Patientin bekommt ein neues Präparat, das sie müde macht – was bei ihrem Beruf als Busfahrerin gefährlich wird. Hätte man ihr das vorher gesagt, hätte sie sich vielleicht anders entschieden. Genau darum ist die Aufklärungspflicht des Arztes beim Thema Medikamente so wichtig.
Welche Dokumente gehören zur Dokumentationspflicht?
Vielleicht denken Sie jetzt: Und was passiert, wenn später keiner mehr weiß, was besprochen wurde? Gute Frage. Hierfür gibt es die sogenannte Dokumentationspflicht.
Laut § 630f BGB gewährleistet diese, dass unter anderem diese Maßnahmen und Ergebnisse in der Patientenakte aufgezeichnet werden:
- Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen
- Untersuchungsergebnisse und Befunde
- Therapien und ihre Wirkungen
- Eingriffe und ihre Wirkungen
- Einwilligungen und Aufklärungen
- Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen
Diese Aufzeichnung sind entscheidend – besonders, wenn es später zu einem Rechtsstreit kommt.
Wie lange wird meine Patientenakte aufbewahrt?
In der Regel 10 Jahre – bei bestimmten Unterlagen wie Röntgenbildern auch länger.
Ärztliche Aufklärung in der Rechtsprechung – was sagen die Gerichte?
Gerichte urteilen meist nüchtern. Aber wenn es um die ärztliche Aufklärung geht, zeigen sie oft klare Kante. Denn: Eine fehlende oder unzureichende Aufklärung ist kein kleines Versäumnis – sie betrifft das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen. Und das ist verfassungsrechtlich geschützt.
Hier ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Das Oberlandesgericht Hamm (Az. 26 U 76/17) entschied vor einigen Jahren zugunsten einer Patientin, die vor einem operativen Eingriff zur Behandlung von Belastungsinkontinenz nicht ausreichend über die Risiken und den experimentellen Charakter der gewählten Operationsmethode informiert worden war. Es handelte sich um eine sogenannte „Neulandmethode“ mit Netzimplantat im Beckenbodenbereich. Ergebnis: Schmerzensgeld, weil die Einwilligung damit unwirksam war.
Die Tendenz ist eindeutig: Die Rechtsprechung nimmt die ärztliche Aufklärungspflicht sehr ernst – und das sollten Sie auch.
Fehlende Einwilligung – und was das rechtlich bedeutet
Hier kommt der Punkt, an dem viele stutzen: Selbst wenn ein Eingriff medizinisch erfolgreich war – wenn vorher keine wirksame Einwilligung vorlag, kann er rechtlich unzulässig gewesen sein.
Ohne ordentliche Aufklärung keine gültige Einwilligung. Ohne Einwilligung: keine Rechtfertigung für den Eingriff. Rein juristisch wird das schnell zur „Körperverletzung“. Klingt hart – ist aber gängige Rechtspraxis (§ 223 ff. StGB).
Und was bedeutet das für Sie?
Sie können Ansprüche geltend machen – auch dann, wenn der Eingriff nicht offensichtlich „misslungen“ ist. Die juristische Grundlage liegt allein in der Verletzung Ihrer Patientenrechte. Dazu gehören zum Beispiel:
- Schmerzensgeld (§ 253 BGB)
- Kostenersatz für zusätzliche Behandlungen
- Feststellungsklage, falls Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden können
Wichtig: Solche Ansprüche verjähren nicht sofort. Lassen Sie sich beraten, ob eine Prüfung für Sie sinnvoll ist.
Was tun, wenn Sie betroffen sind? – Wir sind für Sie da
Vielleicht haben Sie beim Lesen gemerkt: Da war doch was bei meiner OP… Oder Sie fragen sich rückblickend, ob das Gespräch mit Ihrem Arzt wirklich „ausreichend“ war. Die Gedanken sind berechtigt – und genau dafür gibt es uns.
In unserer erfahrenen Fachkanzlei für Medizinrecht stehen wir Ihnen mit Erfahrung und Feingefühl zur Seite. Ob in unserer Standorten in Düsseldorf oder Osnabrück, oder deutschlandweit: Wir hören zu, stellen die richtigen Fragen und prüfen, ob Ihre Aufklärungspflicht verletzt wurde.
Sie bringen Ihre Perspektive mit – wir kümmern uns um die rechtlichen Feinheiten. Wenn notwendig, setzen wir Ihre Ansprüche auch konsequent durch.
Denn eines ist klar: Vertrauen ist gut. Aber Aufklärung ist besser. Gerne beraten wir Sie nach Ihrer Kontaktaufnahme individuell und persönlich.
FAQ zur ärztlichen Aufklärungspflicht – kurz erklärt, ehrlich beantwortet
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Quellenverzeichnis:
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): § 630d BGB – Einwilligung des Patienten, § 630e BGB – Aufklärungspflicht Arzt BGB, § 630f BGB – Dokumentationspflicht
Strafgesetzbuch (StGB): § 223 ff. – Körperverletzung
https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__630e.html
Bundesärztekammer – Empfehlungen zur ärztlichen Aufklärung
OLG Hamm, Urteil vom 23.01.2018, Az. 26 U 76/17
https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/aerzte-und-kliniken/patientenrechte-und-arztpflichten-gesetzlich-klar-geregelt-55098
https://www.aok.de/pp/lexikon/aufklaerungspflicht-aerztliche/
https://www.aerzteblatt.de/archiv/aufklaerungspflicht-teil-1-rechtssicherheit-fuer-aerzte-und-patienten-bccebde6-dea9-4846-b68a-68a3d8bb256c
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